Klostertor und Spittelmühle - Teil 1

30.06.2018

Der Kamenzer Bahnhof, am Sonnabend nachmittag fast ausgestorben, präsentiert sich am Morgen sehr lebendig mit dem gemütlichen Imbiß und Fahrkartenverkauf im "Kamenzer Büdchen" und der Austellung zur Kamenzer Bibliothelksgeschichte im Warteraum. In der Nachkriegszeit, so liest man an einer der Tafeln, hatte die Lessing-Bibliothek eine Buchausleihe in einem Stand auf dem Marktplatz eröffnet und auch beim Friseur konnte man Bücher ausleihen. So wurde der Kopf gleichzeitig von außen und innen erneuert und verschönert.

Gegenüber vom Bahnhof, im kleinen Park, findet sich ein Kunstobjekt ganz eigener Art, eine Arbeit des Bildhauers Georg Mann aus Halle, die er bei der 10. Bildhauerwerkstatt am Krabatstein in Miltitz/Nebelschütz aus alten Brettern erschuf. "Kommen in Frieden" heisst das kokonähnliche Gebilde, das von Pflanzen und Tieren und Menschen als Lebensraum erschlossen werden soll, wie es auf der Tafel heißt, wobei den Menschen das Berühren und Betreten durch die Inschrift auf der gleichen Tafel verboten ist. Ein dialektisches Kunstwerk also, voller innerer Spannungen und Widersprüche, der immerwährende Kampf zwischen Ordnungsmacht und künstlerischer Intention. Kommen in Frieden, nur nicht zu nahe.

Wiederum sehr anders das unbeschilderte Denkmal an der Poststraße, das in der Aufzählung der Kamenzer Kulturdenkmale als FIR-Denkmal erfasst ist. Die Inschrift auf der Rückseite ist überwuchert, sie lautete "Aus der Asche unserer Toten keimt die neue Saat ", wie man in der Wikipedia nachlesen kann. FIR bedeutet „Fédération Internationale des Résistants.“ Hier wäre wohl ein Hinweis zur Gedenkstätte im Herrental angezeigt, doch dazu später.

Direkt neben dem FIR-Denkmal steht die ehemalige Villa des Forstbotanikers und Kamenzer Ehrenbürgers Wilhelm Weisse (1846 - 1916), wenige Schritte weiter sein Garten, der besichtigt werden kann, und auf der anderen Straßenseite der ebenfalls von ihm angelegte Volkspark. Von hier aus sehen wir schon die Klosterkirche St. Annen, die außerhalb der Stadtmauern errichtet werden musste, weil die Begeisterung für das Klosterwesen gegen Ende des 15. Jahrhunderts bereits erheblich nachzulassen begann. Um einen sicheren Eingang zur Stadt zu erhalten, musste das Kloster ein Haus an der inneren Stadtmauer erwerben, es niederreißen und an seiner Stelle das Klostertor errichten lassen. Nach der Reformation wurde die Kirche für den sorbischen evangelischen Gottesdienst genutzt. Einer der letzten Mönche soll noch jahrzehntelang in der Gegend gespukt und am Klostertor die Buchstaben C.P.M. angeschrieben haben - wegen der bald darauf grassierenden Pest deutete man sie als "Camitia Misere Peribit" (d. h. Kamenz wird elendiglich zugrunde gehen). In diesem Zusammenhang ist auch des "Klugen Mönches von Kamenz", Matthäus Rudolph, zu gedenken, der sich als Alchimist und Wunderheiler betätigte, bis ihn in einem furchtbaren Gewitter in Seitschen bei Bautzen angeblich der Teufel holte. Seine frommen Brüder brachten ihn, wie die Sage erzählt, auf einem Mistwagen nach Kamenz zurück. Rudolphs Magd und ihr Sohn wurden wegen Hexerei hingerichtet. 

Später wurde auch die Ratsbibliothek im Kloster untergebracht. Beinahe wäre sie beim großen Stadtbrand von 1707 verloren gewesen, hätte nicht der Ratskutscher Paul Bader die Bücher aus eigener Initiative gerettet.

Wenden wir uns von der Klosterkirche noch einmal zurück zum gewaltigen Postgebäude. Wenig erinnert es an die Dreierliese, die um 1698 in Kamenz die Post austrug und von jedem Empfänger drei Pfennige einkassierte! Abgeholt hat sie die Briefe beim Torwächter Starck, denn weil täglich nur drei oder vier Briefe eingingen, hatte man die schon vorhandene Poststation wieder eingezogen.

Der heutige Schulplatz hinter der Kirche war früher der Kreuzgang des Klosters. Er wirkt ein wenig kahl, einige zusätzliche Bäume würden ihm guttun, zumal der freie Blick auf die Kirche ohnehin durch einen flachen modernen Anbau verstellt ist. Nach der anderen Seite geht der Blick über die Mönchsmauer zum Turm der Marienkirche auf dem Herrenberg. Es gibt einen schönen Brunnen und ein Cafè am Klostertor. Nun geht es in die eigentliche Altstadt hinein, nach links in die Theaterstraße. Interessant ist hier das historische Pflaster: es gibt zwar einen Bürgersteig, mit Granitplatten belegt wie in Dresden, doch er ist nicht erhöht gegenüber dem Niveau der Fahrbahn - es gibt also kein Schnittgerinne direkt am Bürgersteig, wohl aber in der Mitte der Fahrbahn eine Ablaufrinne, eine sogenannte Abzucht.

Dort, wo der Weg vom Schulplatz einmündet, endet die Theaterstraße und wir biegen nach rechts in die Straße "Zur Schule" ein. Die rechte Straßenfront wird von einer langen Betonwand gebildet, die mit pastellfarbenen Streifen bemalt ist. Warum tun sie so etwas? Es wäre doch leicht gewesen, Efeu oder Wein zu pflanzen?

Wir kommen zu einer Kreuzung, wo wir das phantasievoll gemusterte Rathaus bewundern können. Rechts von uns sehen wir das ehemalige Gasthaus Zum Goldenen Stern, in dem jetzt eine große Drogeriekette residiert. Waschmittel und billige Plastikwaren sind vor der historischen Fassade aufgebaut. Wir biegen in die Pfortenstraße ein, an deren Ende ein hübscher kleiner Platz mit Bäumen und einem kleinen Pub liegt. Neben dem Gästegarten führt ein Pfad zur Mönchsmauer, die früher das Franziskanerkloster umschloss. Wir bleiben aber auf der Pfortenstraße und sehen die Aufschrift "Goldener Hirsch" an einem Haus. Offenbar haben sich die Gebäude des Gasthofs am Markt bis hierher erstreckt?

Am Ende der Pfortenstraße stehen noch zwei der seltenen unsanierten Häuser. Das erste scheint eine Werkstatt gewesen zu sein, das andere ein Wohnhaus. Beide haben, bei unterschiedlicher Traufhöhe, die gleichen interessanten Dachfenster. Das Wohnhaus entpuppt sich mit seiner Frontseite in der Bautzner Straße als ehemaliges Geschäft für Waschmittel. Seifen und Kosmetika. Die neue Altstadt Kamenz eG hat bereits die Baugenehmigung für die Erhaltung dieses Hauses bekommen. Das hätte sonst eine hässliche Baulücke ergeben!

Zu diesem Haus - Bautzner Straße 13 - hat das Stadtarchiv Kamenz recherchiert. Die Seifensiederei wurde 1842 erbaut und gehörte später der Familie Niegel.

(Fortsetzung folgt)